Tante Charlie

Der VW Polo Fox von Miri

Tante Charlie war mein 1. Auto, zunächst nur leihweise - denn eigentlich gehörte er Mama. Die wiederum hatte ihn mehr für Papa meiner Oma nach dem Tod meines Opas abgekauft. Tante Charlie gehörte der Gattung Polo Fox an und war in hitzefreundlichem Dunkelblau gehalten. Genaugenommen war es ziemliches Pannenauto, aber wo die Liebe eben so hinfällt... Es fing schon damit an, daß Tante Charlie kurze Zeit nach Einzug in die Familie anfing merkwürdig zu riechen. Merkwürdig? ... eher ausgesprochen streng! Also begab man sich auf die Suche und stellte fest: Soīn Polo hat verdammt viele Geheimverstecke! So fanden wir den Verursacher erst nach tagelanger Suche (offene Fenster und 5 Duftbäume übereinander trüben die Freude am Fahren schließlich nicht weiter). Wer erahnt schließlich ein Fach unterīm Lenkrad?! Außerdem hätte es auch nicht mehr lange gedauert, dann hätte das Käsebrot meines inzwischen verblichenen Opas auch schon wieder alleine (weg)laufen können.

Das Kennzeichen gab den Namen
Nachdem dieser störende Faktor abgeschafft war, gestaltete sich das Fahren gleich netter. Bis der Wagen schließlich in mein Eigentum überging. Zunächst beschloß ich, mein erstes Auto muß individuelle Züge haben (abgesehen von der kleinen Delle im Kotflügel, die der Versuch eine Waschgarage als Fahrneuling rückwärts zu verlassen mit sich gebracht hatte ). Also kamen pinkfarbene Fußtapsen auf die Motorhaube und so die üblichen Schrottkarren-Sprüche ans Heck. Außerdem bin ich ein verantwortungsvoller Mensch also klebte ich für die Beifahrer noch die Warnung "Testamentvordrucke im Handschuhfach" ans Handschuhfach. Selbstverständlich waren, nachdem der Erste erfolglos gesucht hatte, auch solche dort vorrätig und wurden immer wieder gern genutzt (Ein Fahranfänger scheut keine Gefahr!).
Fehlte nur noch der richtige Name und was soll man bloß aus den Buchstaben TC machen? Wer auf die Idee kam ist nicht mehr erruierbar, aber plötzlich und für alle Zeit war "Tante Charlie" geboren. Gerade als sich dann also mein Auto solchermaßen auf dem Höhepunkt seiner Schönheit befand, vergaß ich beim Andrängeln eines Zivilpolizisten in einem nagelneuen BMW leider, daß mein Bremsweg evtl. kürzer sein könnte als seiner. Nichtsdestotrotz fand ich mein Auto - kriegen wir nicht alle Falten im Alter? - auch mit eingebeulter Front noch wunderschön. Und auch die nach- und nach entstandenen Türschäden durch Einbrüche konnten mich nicht beeindrucken - die Versicherung zahlte mir so mehr aus als ich ein. Dennoch wäre ich den Dieben dankbar gewesen, hätten sie vermieden solche Termine auf hohe Feiertage zu legen und doch einfach die Spuren des Vorgängers benutzt. Außerdem konnte ich so doch mal meine Lackierkünste erproben, zumal es so langsam an mehreren Stellen rostete (dies ließ mich einen kaufmännischen Beruf erlernen und die Lackiererei anderen überlassen). Nach und nach kamen Sportlenkrad, feste Hutablage, abschließbares Handschuhfach, Lautsprecher im Heck, peppige Sitzbezüge usw. dazu.

Schnell merkte ich auch, daß mein Auto genau wußte, wem es gehört. Es versagte nie den Dienst und sprang spätestens auf Zureden immer an. Doch als ich es dann einmal meinem Vater lieh, kam er damit noch gerade bis ans Ende unserer Straße. Aber auch ein Auto kommt in die Jahre und so häuften sich dann die Altersbeschwerden. Manchmal hatte ich den Eindruck, die Mechaniker sehen Tante Charlie öfter als ich. Trotzdem warnte sie mich immer lange vorher, so daß ich nicht liegenblieb und genug Zeit hatte sie in die Werkstatt zu bringen. Manche ihrer Macken sind noch heute Gesprächsstoff, so z. B. als die Hupe einen Wackelkontakt hatte. Nie vorher wurde ich so böse von Fußgängern und Radfahrern angestarrt (Tante Charlie hupte bevorzugt bei Drehung des Lenkrads), wenn diese bei Grün die Ampel überquerten und ich zur Riege der Linksabbieger zählte. Also nahm ich das Linksabbiegen mit hocherhobenen Händen (ich bin es nicht, es ist das Auto ganz alleine!) in mein Repertoire der Dinge auf die man beim Autofahren so alle gleichzeitig machen muß. Ich lernte auch schnell, daß dies eine ganz neue Möglichkeit der Kontaktaufnahme war - so viele Männer fühlten sich beim Abbiegen von mir angesprochen. Manche Autofahrer hupten einfach nur nett zurück, und ein Krankenwagenfahrer dachte ich wolle seinem Martinshorn Konkurrenz machen. Schön war auch die Zeit als sie ausging, sobald man den Fuß vom Gas nahm (seitdem kann ich Gas geben und Bremsen gleichzeitig).

An jeder Ampel zweifelnde Blicke männlicher Kollegen. 1. Ampel: Ach so, Frau am Steuer, 2. Ampel: Mein Gott die kann ja wirklich kein Auto fahren, typisch Frau die Karre an jeder Ampel abzusaufen, 3. Ampel: Gelächter beiderseits (irgendwann dämmert auch Männern, daß es am Auto liegen könnte).


Leider hat Miri nur noch Fotos vor der "Beklebung" gefunden
Sogar 1.400 Km am Stück (natürlich mit immer wieder Öl und Wasser nachfüllen) und auch wieder zurück hat sie geschafft, obwohl die wenigsten es ihr zugetraut hätten (nein die damals abgeschlossene ADAC-Mitgliedschaft hatte nix mit mangelndem Vertrauen in mein Auto zu tun!). Obendrauf schaffte sie dann - ich hatte es sehr eilig aus Süddeutschland zurück nach Bremen zu kommen - die 170 Km/h - zwar mit Rückenwind - aber doch sehr zum Erstaunen einiger Autofahrer (laut KFZ-Schein wäre sie ja auch nur 140 Km/h gefahren).

Doch dann kam schließlich einer der schrecklichsten Tage meines Lebens: Mein Auto lag im Sterben. Es passierte an einer Kreuzung. Sie ging aus - und nicht mehr an. Der Mechaniker am Telefon zählte (jedenfalls direkt nach: Mit dem Wagen sind sie noch gefahren????) alle Mängel von A-Z auf (so viele waren es auch circa) und fragte, was er nun damit machen solle. Aus Kostengründen war eine richtige Heilung nicht möglich. Also sorgte er nur dafür, daß sie wieder fuhr. Sie klang nun wie ein Trecker, die Bremsen funktionierten (mit Ausnahme der Handbremse) nicht mehr... Nachdem sie weder fahrbereit noch heilbar war, schaffte ich mir notgedrungen einen Nissan Micra an. Die letzte Fahrt zum Autohändler mit meiner Tante Charlie war die grausamste meines Lebens, vor allem das Wort verschrotten tat mir in der Seele weh. Tante Charlie war die 1. große Autoliebe meines Lebens, nie wieder habe ich ein Auto so liebgewonnen. Keines der Nachfolger hatte nämlich so einen eigenwilligen Charakter wie meine Tante Charlie! Ich würde sie sofort gegen mein jetziges Auto mit all seinen Extras eintauschen.

Eure Miri