Es war ein verdammt heißer Sommer - der Sommer kurz nach meinem 18. Geburtstag. Achtzehn - die magische Zahl. Man wird volljährig, darf wählen und sich die Hucke zusaufen. Unwichtig angesichts der Tatsache, daß man endlich alt genug ist, den Führerschein zu machen. Mein Traum - ich wollte Autofahren. Bevor ich jedoch in die nächste Fahrschule düsen konnte mußte ein fast unbedeutendes Hindernis genommen werden: Geld. Bis dato hatte ich es mir immer gutgehen lassen und bin gar nicht auf die Idee gekommen, mir meine wohlverdienten Ferien durch harte Arbeit zu versalzen. Geld. Verdammt, wo bekommt man welches her, wenn man dringend welches braucht? Manche gehen zum Vater und betteln erfolgreich, manche beknien die Mutter mit einem treuen Dackelblick und andere wiederum schleimen sich bei Opa und Oma ein. Für mich kam das alles nicht in Frage und so blieb nur die Möglichkeit, durch harte Arbeit die nötigen Flocken zu verdienen. Noch heute sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich an meinen Job in der Medikamentenfabrik zurückdenke, aber das ist eine andere Geschichte.

Man soll es nicht glauben: nach vier Wochen harter Fließbandarbeit hatte ich die nötige Kohle zusammen und sobald ich das Geld in Händen hatte, war es bereits in Fahrstunden angelegt. Ich bestand die Führerscheinprüfung auf Anhieb. Jetzt gehörte die Welt also mir. Was aber macht man, wenn man den Lappen endlich hat - bloß kein Auto um ein bißchen Praxis zu bekommen? In dem Fall denke ich, ist es akzeptabel sich "herabzulassen" und bei Muttern zu schnorren. Das funktioniert eigentlich immer. So drehte ich noch am Tag der bestanden Prüfung meine ersten Runden in Mutters ollem Opel Kadett. WOW, ich kann Dir sagen, das ging ab wie eine Rakete .... oder eher wie ein kleiner störrischer Maulesel. Es war schon etwas dunkel und am Fenster standen meine Eltern. Meine Mom mit einem besorgten "Hoffentlich-geht-das-gut-Blick" und mein Vater mit dem typisch skeptischen "Oje-Gesicht". Es ruckte, zuckte, bäumte sich auf und mit einem zugegebenermaßen etwas holprigen Satz war ich aus der Parklücke draußen und auf dem Weg zu meiner ersten Tour. Ich fuhr mit meinen Freudinnen in die eigentlich 15 Minuten entfernte Pizzaria. Nun ja, wir haben ca. 30 Minuten gebraucht (alleine 10 Minuten gingen fürs Parken drauf) aber ich platzte vor Stolz war bestimmt 5 cm größer als sonst :o)

Zugegeben, für den Augenblick durchaus angebracht aber auf Dauer kein Zustand. Ein eigenes Auto mußte her. Da war es wieder, das kleine unbedeutende Hindernis, das noch genommen werden wollte: Geld. Nein, die Fabrik kam nicht mehr in Frage. Trotz Haareraufen, Beschwörung alter tibetischer Gebetsformeln und eingehender Meditationsübungen kam ich dem guten Stück keinen Schritt näher, bis das Schicksal in Form meiner Tante zuschlug.

Meine Tante besaß ein Auto, das sie nicht brauchte und da meine Cousinen zu dem Zeitpunkt keinen Führerschein hatten, kam sie auf die glorreiche Idee, mir den Wagen zu schenken. Ich falle noch heute aus Dankbarkeit vor ihre Füße, wenn ich sie angesichts irgendeines Familien-Happening sehen sollte. Sie brachte mir den fahrbaren Untersatz höchstpersönlich vorbei und übergab ihn mit den Worten: "Mußte ein bißchen saubermachen aber sonst ist alles ok". Verdammt, was war das? Das war ein Auto? Welche Farbe hatte es? Damit kann man fahren? Völlig egal, ich war happy, schnappte mir Putzzeug und innerhalb von ungelogen drei Tagen hatte ich das Dreckklümpchen zu einem fabelhaften Auto verwandelt.

Da war er nun, mein knallroter VW-Käfer - Baujahr 1971. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wenn meine Mutter nicht so streng gewesen wäre, hätte ich vermutlich in dem Auto geschlafen. Ich fuhr was das Zeug hielt. Kein Ziel war zu weit, keine Benzinkosten zu hoch. Na ja, das mit den Kosten stimmt nicht so ganz, aber Tatsache war, daß ich nur noch unterwegs war und durch die Gegend düste.

Ziemlich schnell lernte ich die Eigenarten des kleinen Wagens kennen und so kam es, daß er innerhalb der ersten zwei Tage seinen Namen erhielt: Nörgel - weil er immer so rumgekotzt hat, bevor er angesprungen ist. Daß die Fenster nicht herunter zu kurbeln waren, war eigentlich kein Problem - es sei denn, ich wollte in ein Parkhaus. Im Laufe der Zeit entwickelte ich eine Technik, mit der ich - schneller als jeder Wagen mit automatischen Fensterkurbeln - zurechtkam. Ich fuhr einfach ein Stück näher an die Schranke, öffnete die Tür und langte mit der Hand raus. Ich perfektionierte diese Technik und gelangte zu Höchstzeiten, mit denen ich sogar Bügelfalten-Manager in Luxuskarossen ausstechen konnte.

Unnötig zu erwähnen, daß auch dieser Käfer mit den Jahreszeiten so seine Probleme hatte. Im Winter war es arschkalt und im Sommer grillte mich die Heizung volle Pulle. So kam es, daß ich entweder zu einem Eisklumpen geforen oder braungeröstet hinterm Lenkrad saß. Den einen Winter vergeß ich nie: Schneechaos in Frankfurt. Ich steh mitten in der Stadt, kurz vor dem größten Verkehrsknotenpunkt (am Bahnhof), hatte abgefahrene Sommerreifen drauf und es ging keinen Schritt weiter. Alle 15 Minuten mußte ich aus dem Auto hüpfen, um den Scheibenwischer zu befreien, der so zugeschneit war, daß er in immer kleiner werdenden Abständen zu wischen begann. Auch nach hinten hinaus konnte man nichts mehr erkennen, denn es schneite wie nie zuvor. Selbstverständlich hatte ich keinen Eiskratzer oder Schneeschieber. Wozu auch, ich war jung, gesund und hatte zwei Arme. Ich stand insgesamt vier Stunden auf dieser Kreuzung, hüpfte immer noch alle 15 Minuten raus - ich wußte ja nicht, daß es so lange dauern würde, und man mußte für jeden Meter gerüstet sein. Meine ach so heitere Stimmung verwandelte sich in Galgenhumor. Was soll ich sagen, ich bin Optimistin und lasse mich niemals unterkriegen. Ich machte das olle Radio an und hörte mir Plätzchenrezepte irgendwelcher Omis an, die auf HR1 (der einzige Sender den ich reinbekam) die Vorweihnachtszeit einläuteten. Selbstverständlich lag ich nach diesem Erlebnis zwei Wochen lang mit Grippe im Bett.

Wirklich schlimm wurde es erst, als Nögel mich in einer eisigen Novembernacht mitten auf der A66 im Stich ließ. Ich fuhr so vor mich hin, als ich plötzlich angesichts brennender weißer Qualmschwaden einen leichten Anfall von Panik bekam. Ich rauche nicht - es konnte also nur das Auto sein. Ich vermutete, jeden Augenblick das Feuer zu spüren, das mir den Hintern versengen würde. Nichts wie rechts raus und als absoluter Laie den ADAC gerufen. Der junge, wirklich sehr gutaussehende Typ war äußerst hilfsbereit konnte aber trotz genauester Untersuchung nichts entdecken. Ich bin dem Mann heute noch dankbar, daß er bis zu meiner Autobahnausfahrt hinter mir herfuhr und sich winkend verabschiedete, während ich tiefgefroren und heftig zitternd mein schönstes Lächeln rausgrub und ihm dankbar hinterherstrahlte.

Ich habe in diesem Auto viele wunderbare Stunden verlebt und bin in viele mehr oder minder komische Situationen geraten und habe - angesichts nicht ausbleibender Pannen - sehr viele hilfsbereite Menschen kennengelernt. Irgendwann - es war eine dieser eiskalten Nächte - ließ Nörgel mich endgülig im Stich und segnete das Zeitliche. Man kann sagen, daß ich um ihn getrauert habe. Ich habe dieses Auto geliebt ...

... und deshalb bin ich noch heute sauer auf den Rüpel vom Abschleppdienst, der meinen kleinen heißgeliebten Wagen abgeholt hat. Dieser Barbar wartete nicht, bis ich mit dem Schlüssel kam, sondern schlug die Scheiben ein, zog eine dicke, schwere Eisenkette durch und hob mittels Minikran mein Auto aus der Parklücke. Nebenbei dotzte er dann auch noch die anderen parkenden Autos an, und da war es um mich geschehen. Blutenden Herzens und wild wie eine Löwenmutter, die ihr Junges beschützt, brüllte ich ihn an, ob er hier das große Geschäft machen wolle, weil er die anderen Autos gleich mitruinieren würde und übergoß ihn mit einem Schwall Schimpfwörter, die ich aus Jugendschutzgründen hier lieber nich wiederholen werde.

Ich sah meinem kleinen Auto, das so verloren, einsam und traurig auf dem Abschleppwagen stand nach, bis es hinter einer Kurve verschwand. Es hatte seine letzte Reise ohne mich angetreten und endete vielleicht als Konservendose für Suppeneintöpfe oder gußeisernes Gartentörchen. Ich hab geheult wie ein Schloßhund.




Erlebt, gelebt und gelitten: Hera
Ich danke KLE, der mich gefragt hat, ob ich meine kleine Rostschüssel in seiner Garage abstellen möchte und mir somit einen kleinen Trip in die Vergangenheit bescherte :o)

© 1998 Hera