Der trompetenspielende Wikinger

Rover 2000

Als ich 16 war, waren wir auf einer genialen Klassenfahrt im schönen Wien. Abbruchreifes Hotel, Polizei nachts auf den Zimmern als wir aus Versehen auf die Passanten weit unter uns geascht hatten, und diese traumhafte riesige alte Stadt mit den vielen gemütlichen Cafés und den unglaublich guten Torten ..... ein einziger, eine Woche langer Genuß.

Nicht sehr dezentes Reserverad
Auf einem Parkplatz stand ein ganz komisches Auto, wie es sie nur in Wien geben konnte. Grau und sehr merkwürdig geformt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Eigentlich sah er aus wie ein Wartburg, aber viel edler. Hinten stand in verchromten Lettern groß "Rover 2000" drauf, und es sah auch wirklich ein bißchen aus wie ein Auto, mit dem man zum Flughafen von Raumschiff Orion fahren würde. Das Markenzeichen bestand aus einem großen Wikingerschiff und oben auf dem Kofferraum war ein Ersatzrad montiert. Da mußte ich dann doch mal einen Blick 'reinwerfen .... hab mir die Nase an der Scheibe plattgedrückt. Alte, beige Lederpolster, und ein riesiges Chaos an Papieren, Akten und sonstigem Krimskrams auf dem Beifahrersitz. Statt eines normalen Tachometers sah es mehr wie ein großes Radio vor dem Lenkrad aus.
Naja, ich hab damals ein Foto von diesem Wagen gemacht und ihn dann erstmal vergessen. Als ich 18 war, habe ich mir statt eines neuen Golfs einen alten Mercedes Diesel angelacht. 60 sorgenfreie PS, kein Wertverlust, keine Neuwagenrücklagen, und als meine Freunde in immer kürzeren Abständen immer neuere und teurere Autos kaufen, die sie immer schneller von A nach B bringen sollten, fiel mir dann irgendwann dieser verrückte Wagen wieder ein aus Wien.
Mittlerweile sind mindestens 5 Klassikermagazine monatlich Pflichtlektüre für mich, im Internet kann man sich dann noch die restliche Freizeit auf der Suche nach ausgefallenen Dingen auf 4 Rädern vertreiben, und auf eine Kleinanzeige hin bin ich dann kurzerhand in den Rover-Freundeskreis eingetreten, mit der unbestimmten Absicht mir irgendwann so ein Auto wie das aus Wien zu kaufen.
Darfs ein Rotton mehr sein?
Seit damals hatte ich in 7 Jahren genau 8 von diesen Autos zu Gesicht bekommen ... ein kleines bißchen Individualität kam mir ja nur entgegen.

So erreichte mich eines Juniabends ein Fax von dem sehr rührigen Rover-Freundeskreis, ein ebensolcher Rover stand zum Verkauf, nur 8 Kilometer von Zuhause, einer von 9 die in ganz Deutschland noch zugelassen waren. Da bin ich dann hin, und habe meinen Traumwagen da unter einem Baum stehen gesehen. Rot war er, mit schwarzem Leder, und er sah so richtig edel aus. Genau das passende für einen 23-jährigen Studenten. Die beiden etwa 70-jährigen Besitzer sind die freundlichsten Menschen, die man so kennenlernen konnte.

Der Rover war tatsächlich aus erster Hand, das heißt offiziell aus zweiter, denn er hatte am Anfang zwei Jahre als Vorführwagen gelebt. (Selbst die Werkstatt, zu der die guten Leute immer gefahren sind, war 30 Jahre lang dieselbe, und wenn ich heute ein Problem habe, gehe ich auch noch dahin.) Die Besitzer hatten zwar in der Zwischenzeit diverse andere Autos gehabt, richtig fette Jaguars in Hülle und Fülle, aber dieser kleine skurrile Rover ist immer dageblieben, bis die Frau ihn aus gesundheitlichen Gründen einfach nicht mehr fahren konnte.

Sehr edles Interieur
In den 80er Jahren hat der Familiennachwuchs offensichtlich keine Elektronikbaukästen geschenkt bekommen, und sich statt dessen mit Lötkolben und allerlei elektrischen Schaltungen über das altehrwürdige britische Geschöpf hergemacht. Ein unglaublich gräßlicher 1980er-Jahre-Kassettenrecorder, im Heckfenster eine große, nachts leuchtende Florida-Zeichnung, links und rechts am Auto in grün und rot blinkende Positionslämpchen, fünf Trompeten unter dem Kühlergrill, die "la cucamarcha" spielen, eine elektrische Orgel mit 70 verschiedenen Melodien, CB-Funk, und hinten ein netter Aufkleber auf dem Kofferraum:
"Autos fangen bei 8 Zylindern an, alles andere sind Behelfskaleschen."
Nur leider, leider, war das meiste davon nicht mehr an Bord, als ich den Wagen gesehen habe. Denn der liebe TÜV-Prüfer hat, wie das so ist, natürlich eines Tages wohl einen Herzanfall bekommen und die Floridafolie und die blinkenden Lämpchen mußten wieder raus - so erfreute mich der Rover mit einer Menge Löcher im Armaturenbrett.

Den CB-Funk wollte ich nicht haben, der Kassettenrecorder ging nicht mehr, und die Orgel hab ich der Frau des Vorbesitzers überlassen, damit sie was zur Erinnerung hat ... so blieben nur noch die netten Trompeten, und es ist auch ein ganz versteckter Schalter unter dem Armaturenbrett, damit man den Wagen bei Bedarf wieder straßenlegal machen kann. Denn das Trompeten ist natürlich auf den Straßen verboten ... macht aber wirklich einen Höllenspaß, und diese Dinger sind wirklich wahnsinnig laut.

Verliebt und blauäugig nahm ich diesen Traumwagen (der technisch ziemlich okay war, abgesehen davon daß bei einer Million Reparaturen anscheinend jedes Karosserieteil in einem anderen roten Farbton nachlackiert wurde) für einen ziemlichen Spottpreis (dafür gibt's anderswo einen mittelprächtigen Golf II) unter meine Fittiche.

Samstag abends fuhren wir eines Tages mit ein paar Freunden und dem Rover über Düsseldorfs Schickeriameile, die Kö, auf der Suche nach einem Parkplatz. Vor mir versucht ein 80.000 Mark Auto auszuparken und ein anderes 80.000 Mark Auto wartet, dahinter stehe ich. Irgendwie dauerte das mit dem Ausparken länger und hinter mir entstand eine Schlange weiterer 80.000 Mark Autos, die alle wie wild hupten.

Wißt Ihr eigentlich was diese Neuwagen alles für lasche Hupen haben? Trööööt, Meeeep, Brööööp ist alles was da rauszuholen ist. In Dezibeln würde jeder asthmatische Dackel alle diese Autos auf einmal übertönen. Als mir das alles zu öde wurde, habe ich dann "la cucamarcha" gespielt. Das muß durch die halbe Stadt gehallt haben. Denn danach hab ich, obwohl wir da bestimmt noch eine Minute lang gewartet haben, nicht ein einziges Auto mehr hupen gehört.
Da rief mich später mal der Vorbesitzer an und erzählte von den vielen Ersatzteilen, die er noch für mich gefunden hat. In Schuppen und Scheunen, im Keller und auf dem Dachboden, überall kamen unglaubliche Mengen von Rover-Bruchstücken zum Vorschein, neu verpackte und völlig verrostete, in einem wüsten Durcheinander. Mit einem großen Jeep sind wir dahingefahren um diese ganzen Teile abzutransportieren. Für die Frau gab es Blumen und sie freut sich auch jedes Mal, wenn sie ihr altes Auto noch mal zu Gesicht bekommt.

Der Rover bleibt jetzt meiner. Im letzten Jahr bin ich immerhin über 5000 Kilometer damit gefahren und es sind auch nur für 2000 Mark Reparaturkosten entstanden. Als die Benzinpreise immer höher wurden (seine 8 Zylinder verlangen auf 100 Kilometer nach 14 Litern feinstem Superplus, inklusive Bleizusatz) habe ich einfach angefangen, ihn weitgehend auseinanderzuschrauben, denn er soll mal wieder anständig in einem einheitlichen, satten, glänzenden Rot erstrahlen. Dieses Jahr werde ich wahrscheinlich nicht damit fahren können, aber danach soll der alte Wikinger mit neuen Kräften in sein zweites Leben starten.






Text und Fotos: Thomas John
Homepage: The Roving Society